„City Canvas“ mit kritischem Ortsbezug? Nein, nur urban shit.

Im Hamburger Stadtteil St. Pauli wurden vor zwei Wochen beim Reeperbahnfestival 500 qm eines riesigen Bauzauns von fünf geladenen Künstlern gestaltet. Neben einem Orca mit Panda-Öhrchen werden Hände gedrückt und eine Libelle liegt wehrlos auf dem Rücken – die quadratischen Werke erscheinen zusammenhangslos angeordnet, Aussagen Fehlanzeige. Es ging wohl um handwerklich solide gemachte Dekoration ohne anzuecken, passend zur einfältig touristischen Ausrichtung des Spielbudenplatzes.

city canvas_gesamt

Was zunächst nach einer farbigen Attraktion auf dem Kiez aussieht, ist auf den zweiten Blick ein Politikum. Denn hinter dem Zaun liegt der Ort, an dem die Esso-Häuser erst geräumt, dann abgerissen wurden und wo nun eine offene Wunde im sozialen Gefüge des Stadtteils klafft. Die Esso-Initiative vertritt die Interessen der ehemaligen Bewohner_innen, drängt auf einen möglichst hohen Anteil an Sozialwohnungen im geplanten Neubau und macht gegen die zunehmende Aufwertung und Verdrängung einkommenschwacher Menschen aus der Innenstadt mobil. Die Aktivist_innen bemängeln das „Artwashing“ durch die Kunst am Bauzaun. Sie werfen dem Immobilienunternehmen Bayrische Hausbau vor, ihre schmutzige Weste durch die Gewinne mit den Esso-Neubauten durch das allzeit frische Deckmäntelchen der Streetart verbergen zu wollen.

city canvas_baer-energie

Und deren Plan geht auf, die Bayrische Hausbau kann sich glücklich schätzen bei solch gehorsamer Zuarbeit durch die Kunst-Fraktion: die Bauzaunaktion „City Canvas“ wurde von Urbanshit (US), einer Web-Plattform für „(…) Kunst, Aktivismus, und andere alternative Aneignungsformen der Stadt“ kuratiert. „Alternativ“ bedeutet in diesem Fall wohl nur, dass Werbung durch Kunst ausgetauscht wird, der eigentliche Zweck des Zauns jedoch gänzlich unhinterfragt bleibt, wie Rudi in den Kommentaren unter dem betreffenden Post auf US erklärt: „Wir sind davon überzeugt, dass Kunst eine bessere Lösung ist, als eine reine Vermarktung der Wände als Werbeflächen. Wir bleiben kritisch und unkäuflich (…).“ Aha. Und wie sich „unkäuflich“ mit den „sponsored posts“ für Jägermeister, Sixt oder Converse auf dem Blog verträgt, steht wohl auf einem anderen Zaun.

Werbeflächen gibt es an der Esso-Häuser-Baustelle übrigens auch, und zwar auf beiden Seiten der Kunstwerke. Beworben werden diese wiederum von den Werbern als “Besonderheit: der Mittelteil der Werbefläche ist für eine künstlerische Gestaltung der Stadt Hamburg vorgesehen. Diese Gestaltung wird die Attraktivität der Werbefläche noch erhöhen”, laut einem Kommentar unter dem US-Post. Pro Jahr könnte die Bayrische Hausbau nach Schätzungen der taz damit bis zu 1,8 Millionen Euro verdienen. Und die Kunst als Deko am Rande gibt’s fast für lau nebenher im Rahmen eines Kulturfestivälchens.

city canvas_ikea-herz

Der Streetartist 1010, der eine herzförmige Tropfsteinhöhle an den Zaun gemalt hat, ist der Meinung, sich in dem Konflikt genug positioniert zu haben, schließlich seien „diejenigen, die Häuser abreißen und sie durch Stahl- und Glaskomplexe ersetzen, (…) nicht wir. Mein künstlerisches Statement dazu kann sich jeder selbst ansehen und interpretieren.“ Laut US sind die Werke aus der Abyss-Serie von 1010 „gesellschaftskritisch und inhaltlich tiefgreifend“, mit viel Fantasie stimmt das wohl.

Dass „Artwashing“ auch zu handfesten Problemen für die involvierten Künstler_innen führen kann, zeigt die Kontroverse um ein Wandbild von Shepard „Obey“ Fairey in Kopenhagen. Gegenüber des nach massiven Protesten abgerissenen Kulturzentrums Ungdomshuset gestaltete er im August 2011 ein Wandbild mit Friedenstaube und Peace-Schriftzug. Dafür erntete er nicht nur Farbbomben und feindselige Parolengraffiti, sondern auch ein blaues Auge. Er verwies zwar auf seine Wurzeln in der Punk-Subkultur und sprach von einem „Missverständnis“, doch die Aktivist_innen sahen ihn als Kollaborateur der städtischen Befriedungskampagne um den umkämpften Ort.

city canvas_links mit fans